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KAPITEL 6
 

Sure know somethin


Wenn Shandi gewusst hätte, was in der nächsten Zeit auf sie zukommt, wäre sie bestimmt nicht bei „A Girl’s KISS“ eingestiegen. Doch noch ahnte sie nicht, was sie bei ihrer Rückkehr nach Hause erfahren sollte.

Jetzt aber wollten die vier Mädchen noch ein bisschen die Zeit miteinander genießen, bevor das gemeinsame Wochenende zu Ende ging. So spielten sie noch mal nur so zum Spaß auf der kleinen Bühne in der Herberge zusammen einige KISS-Songs.

Gegen Abend mussten Shandi, Gina und Petra aber nach Hause, denn schließlich gingen sie ja noch zur Schule. Also verabschiedeten sie sich nacheinander von Pauline und ihrer Mutter, dankten beiden für alles und nachdem sie mit Pauline verabredet hatten, dass sie doch mal zu Besuch kommen sollte, radelten die Mädels nach Hause.

Da Petra einen anderen Weg nehmen musste, als Gina und Shandi, verabschiedete auch sie sich auf halber Strecke. Nun waren Gina und Shandi wieder alleine. Sie unterhielten sich über das Wochenende und ließen es noch einmal Revue passieren.

Schließlich waren sie zuhause angekommen und bevor jede von ihnen zu ihrer Haustür ging, wünschten sie sich noch eine gute Nacht. Dann verschwanden beide in ihren Elternhäusern. Shandi wurde schon sehnsüchtig von ihren Adoptiveltern erwartet. „Da bist Du ja“, rief Frau Meyer. Shandi sah ihre Stiefmutter irritiert an. „Was ist denn los“, fragte sie. Frau Meyer antwortete: „Schon das ganze Wochenende versucht Deine leibliche Mutter Dich zu erreichen. Aber frag mich nicht, wieso.“ Shandi verzog das Gesicht. Genau die Frage wollte sie gerade stellen. Stattdessen sagte sie zu Frau Meyer: „Wenn Du es erlaubst, rufe ich sie mal eben zurück. Ich habe ja ihre Nummer.“ Frau Meyer war einverstanden und so rief Shandi ihre leibliche Mutter an. Als die sich meldete, fragte Shandi gleich, was sie denn von ihr wollte.

Shandi’s Mutter, Esther, legte gleich los: „Kind, wo warst Du denn die ganze Zeit? Ich muss Dich unbedingt sehen und mit Dir reden. Es ist wirklich sehr wichtig.“ Shandi entgegnete: „Na, wenn’s so wichtig ist, können wir uns ja morgen Nachmittag in der Eisdiele treffen, wo wir uns beim ersten Mal auch getroffen haben. Weißt Du noch?“ Esther erinnerte sich. Und so sagte sie diesen Termin zu. Nachdem Shandi den Hörer aufgelegt hatte, wurde sie noch von Frau Meyer gefragt, was Esther denn gewollt hätte. Shandi antwortete nur: „Die hat irgendwas von treffen und es sei wichtig erzählt. Na, dann treffe ich mich eben morgen nach der Schule mit ihr. Aber jetzt gehe ich ins Bett. Bin total müde. Gute Nacht.“ Shandi hörte nicht mal mehr die Erwiderung ihrer Stiefmutter, so schnell war sie in ihrem Zimmer verschwunden, wo sie sich schnell umzog und dann ins Bett fiel.

Am nächsten Morgen stand Shandi recht früh auf. Sie hatte die Nacht zuvor nicht so gut geschlafen, dennoch war sie hellwach. Sie machte sich für die Schule fertig und wollte gerade gehen, als Frau Meyer sagte: „Shandi, was ist denn los? Du stehst ziemlich früh auf, kommst ins Zimmer, ohne zu grüßen, Du willst ohne Frühstück zur Schule. Da stimmt doch was nicht.“ Shandi beruhigte ihre Stiefmutter: „Mama, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur schlecht geschlafen und Hunger habe ich auch nicht.“ Frau Meyer schüttelte nur den Kopf. Dann aber meinte sie, Shandi solle sich doch wenigstens etwas mit in die Schule nehmen, was Shandi auch tat. Schließlich machte sie sich auf den Weg.

In der Schule konnte sich Shandi gar nicht konzentrieren. Zu sehr war sie mit ihren Gedanken bei dem Telefonat mit ihrer leiblichen Mutter. Was wollte sie nur von ihr? Shandi war richtig froh, als es zur Pause läutete.

Auf dem Pausenhof stand sie ganz für sich ans Schulgebäude gelehnt und hing ihren Gedanken nach, als sie plötzlich angesprochen wurde: „Sag mal, was stehst Du denn hier so abseits?“ Shandi fuhr erschrocken herum und blickte in das Gesicht ihrer Freundin. Gina ging inzwischen in die gleiche Schule, wie sie. Also hätte sie sich doch eigentlich nicht zu erschrecken brauchen. Doch Shandi war so in Gedanken gewesen, dass sie Gina gar nicht gehört oder gesehen hatte.

Brummig fuhr Shandi sie an: „Musst Du Dich so anschleichen?“ Gina wich verunsichert zurück. „Was ist denn nur los mit Dir“, fragte sie. Shandi wurde ruhiger. Dann erzählte sie Gina von ihrem Telefonat mit Esther am Vorabend. Schließlich sagte sie: „Ich wüsste echt gerne, was sie von mir will. Erst sucht sie nur vereinzelt Kontakt zur mir und nun macht sie es so spannend und super-wichtig.“ Gina grinste, während sie etwas unter ihrer Jacke hervorholte. „Vielleicht geht es ja hier drum“, sagte sie, wobei sie Shandi eine Jugendzeitschrift unter die Nase hielt. Shandi sah Gina fragend an: „Was soll denn mein Gespräch mit Esther mit diesem Schmierblatt zu tun haben?“ „Moment“, entgegnete Gina. Sie schlug eine bestimmte Seite auf, wo ein Foto von KISS mit vier Mädchen abgebildet war. Erst nach einem kurzen Moment begriff Shandi, dass diese vier Mädchen Gina, Petra, sie und Victoria waren. Man hatte tatsächlich ein Foto von ihnen mit KISS gemacht. „Na toll“, stöhnte sie. „Das hat mir echt noch gefehlt – wir mit KISS in einer Jugendzeitschrift. Aber wenn Esther tatsächlich darüber mit mir reden will, wieso hat sie das nicht am Telefon gemacht?“ Gina zuckte mit den Schultern. Sie wollte gerade etwas dazu sagen, da schellte schon die Pausenglocke und die beiden mussten zurück in ihre Klassen, wo Shandi weiterhin den Unterricht eher über sich ergehen ließ, als sie ihm aufmerksam folgte. Dementsprechend froh war sie, als die Glocke endlich zum Schul-Ende läutete.

Sie griff sich schnell ihre Sachen und rannte aus der Klasse, aus dem Schulgebäude, runter vom Gelände und eilig in Richtung Eisdiele, wo Esther schon auf sie wartete. Völlig außer Atem begrüßte Shandi ihre leibliche Mutter. Sie setzte sich, bestellte beim Kellner erst einmal ein Glas Cola und fragte Esther schließlich, was es denn so Wichtiges gäbe, das man nicht auch am Telefon hätte besprechen können. Ohne ein Wort schob Esther Shandi diese Jugendzeitschrift mit dem Foto von KISS mit den vier Mädels zu, während sie fragte: „Kannst Du mir das bitte erklären?“ Shandi erwiderte: „Ich wüsste zwar nicht, was es da zu erklären gibt. Aber bitte; Gina und ich waren bei einem KISS-Konzert und hatten, zusammen mit zwei anderen Mädchen, das Glück, KISS backstage zu treffen. Wo ist das Problem?“ Esther antwortete: „Ich sag Dir, wo das Problem ist. Warum hast Du mich nicht wissen lassen, dass Du inzwischen weißt, wer Dein Vater ist?“ Sie bemerkte gar nicht, dass Shandi sie nur verwundert anschaute, während sie weitersprach: „Aber nein, Du besuchst ihn, hinter meinem Rücken, backstage bei einem Konzert. Wobei ich echt gerne wüsste, wer es Dir gesagt hat. Deine Adoptiveltern vielleicht?“ Shandi verstand immer noch nur ‚Bahnhof‘, deshalb fragte sie: „Mom, was redest Du da? Wieso leiblicher Vater und was heißt hier heimlich besuchen?“ Esther sah ihre Tochter an und sagte: „Na, hier stehst Du doch genau neben ihm. Darum dachte ich, Du wüsstest, wer Dein Vater ist.“ Shandi sah auf das Foto und erschrak ein wenig. Leise fragte sie: „Ace ist mein Vater?“ Esther schaute Shandi überrascht an. „Wieso Ace“, fragte sie. „Wer ist Ace? Ich rede von dem anderen - von Chaim…, äh, inzwischen heißt er wohl Gene.“

Jetzt zuckte Shandi erst recht zusammen. Völlig entgeistert sah sie Esther an. Als sie sich wieder ein bisschen gefangen hatte und wieder einigermaßen klar denken konnte, fragte sie Esther, wie es bitte sein könnte, dass Gene Simmons ihr leiblicher Vater sei. Esther atmete tief durch, dann erzählte sie ihrer Tochter die ganze Geschichte: „Weißt Du, als Chaim und ich uns kennenlernten, war ich noch mit Abi verheiratet. Allerdings war unsere Ehe da schon alles andere als glücklich. Abi wollte abends immer noch irgendwo einkehren, während ich oft nach unseren Konzerten so müde war, dass ich gleich ins Hotel wollte. Also, zog Abi alleine los und ich blieb im Hotelzimmer zurück. Als wir in New York auftraten, hatte ich davon die Nase voll. Abi ließ mich wieder alleine und amüsierte sich. Da beschloss ich, das gleiche zu tun. Schließlich ging ich in eine Bar und lernte Chaim kennen. Wir stellten bald fest, dass wir einiges gemeinsam hatten – allem voran, unsere Herkunft. Er war wirklich witzig und es machte ihm einen Riesenspaß, mit mir hebräisch zu sprechen, wobei wir uns eigentlich nur über die Leute lustig machten. Und keiner verstand uns.“ Esther kicherte vor sich hin. „Irgendwann flirtete er regelrecht mit mir, was mir einfach gut tat. Dann nahm er mich mit zu sich nach Hause. Tja, und da geschah es dann.“ Shandi fragte: „Was geschah dann?“ Esther druckste ein wenig herum: „Na, Du weißt schon.“ Shandi sah sie immer noch fragend an. Schließlich sagte Esther: „Mein Gott, wir hatten Sex. Und dabei wurdest Du dann gezeugt.“

Als Shandi noch immer nichts sagte, fuhr Esther fort: „Bald stellte ich fest, dass ich schwanger war. Natürlich kam eine Abtreibung für mich nicht in Frage, aber mir war auch klar, dass ich mein Kind nicht behalten konnte. Abi wäre ausgerastet und noch waren wir ja vertraglich aneinander gebunden. Also, nahm ich mir eine Auszeit und fuhr kurz vor Deiner Geburt einfach alleine irgendwohin, wo ich Dich zur Welt bringen konnte, ohne dass jemand aus meinem näheren Umfeld etwas merkte. Um meine Entscheidung, Dich zur Adoption freizugeben, nicht gleich wieder zu bereuen, wollte ich Dich auch gar nicht erst sehen. Doch mit den Jahren, als dann dieser Druck weg war, bekam ich Sehnsucht nach Dir und wollte unbedingt herausfinden, wo Du bist. Na ja, der Rest ist Geschichte.“

Shandi musste die ganze Geschichte erst einmal verarbeiten. Doch dann stieg Wut in ihr hoch. Sie fauchte Esther an: „Und wieso erzählst Du mir das jetzt? Du hättest schon längere Zeit die Gelegenheit gehabt, mir die ganze Wahrheit zu sagen. Gene Simmons ist mein Vater. Toll!!! Wie soll ich jetzt, bitteschön, damit umgehen? Ich kenne diesen Mann inzwischen persönlich. Und eigentlich wollte ich mit Gina noch mal zu einem KISS-Konzert gehen. Doch wie soll ich ihm gegenübertreten, wenn ich weiß, dass ich seine Tochter bin? Soll ich ihm etwa sagen: ‚Hi, Daddy. Ich bin Shandi, Deine Tochter. Du hast mich damals mit Esther Ofarim gezeugt‘? Das geht ja wohl schlecht.“ Esther wartete, bis Shandi ihren Monolog beendet hatte, dann antwortete sie ganz ruhig: „Shandi, ich weiß, das ist jetzt nicht leicht für Dich, aber bitte, wenn Du ihn wiedersiehst, sag ihm nichts. Wenn, dann muss ich das tun.“ Shandi sprang wutentbrannt auf: „Du willst das machen“, fragte sie lautstark. „Du? Das fällt Dir aber echt früh ein. Und überhaupt; hast Du seine aktuelle Adresse oder seine Telefonnummer?“ Esther schüttelte den Kopf. „Na, siehst Du“, fuhr Shandi fort. „Wie willst Du ihm das denn sagen? Oder hast Du vor, mich beim nächsten KISS-Konzert zu begleiten?“ Esther warf leise ein: „Ich dachte tatsächlich daran. Dann könnten wir gemeinsam mit ihm reden.“ Shandi sah ihre Mutter zunächst verdutzt an, dann aber lachte sie bitter auf: „Glaubst Du tatsächlich, ich würde mit Dir zu einem KISS-Konzert gehen. Niemals! Und eines weiß ich ganz genau: Diese Szene hier verzeihe ich Dir nie. Und noch etwas weiß ich genau: WENN Gene jemals erfährt, dass ich seine Tochter bin, dann von MIR.“ Damit schnappte sie sich ihre Sachen und verließ wutschnaubend das Eiscafé. Esther blieb total schockiert alleine zurück. Sie wusste nun selbst nicht mehr, was sie tun sollte. Warum war sie auch davon ausgegangen, Shandi wüsste inzwischen die Wahrheit?! Nur wegen des Fotos? Wie konnte sie nur so dumm sein, Shandi die Wahrheit über ihren Vater mehr oder weniger um die Ohren zu hauen? Leise sagte sie zu sich selber: „Das hast Du ja ganz toll hinbekommen, Esther. Deine Tochter weiß die Wahrheit, aber sie hasst Dich. Besser hätte es gar nicht laufen können.“ Dann bezahlte sie und ging ebenfalls nach Hause.




Kapitel 5 | Autorinnen