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KAPITEL 4
 

Nothin to loose

Als Shandi am nächsten Morgen mit ihren Eltern gefrühstückt und noch beim Abwasch geholfen hatte, ging sie wieder in ihr Zimmer, wo sie nun gedankenverloren auf ihrem Bett saß und ihre KISS Poster anstarrte. Seit Ewigkeiten versuchte sie, herauszufinden, wie die vier wohl ohne Make up aussahen. Bei Peter, Paul und Gene war sie sich einigermaßen sicher, das schon zu wissen; nur bei Ace kam sie nicht weiter. Sie vermutete hinter seinem Make up einen gut aussehenden Mann, der wohl die gütigsten Augen hatte, die Shandi jemals sah. Kein Wunder, dass ihr jedes Mal ganz mulmig war, wenn sie ihn sah.
Plötzlich wurde Shandi jäh aus ihren Träumen gerissen, als sie die Stimme ihrer Adotivmutter hörte: „Shandi, Du hast Besuch.“ Erschrocken fuhr Shandi herum und sagte leicht verärgert: „Mama, kannst Du nicht anklopfen?“ Frau Meyer entgegnete: „Ich habe geklopft. Gina ist da. Sie wartet unten auf Dich.“ Shandi antwortete: „Wieso kommt sie denn nicht hoch? Ist die doof!“ Gina war aber inzwischen die Treppe hinaufgestiegen und stand nun in der Tür. „Vielen Dank“, sagte sie nur. Shandi sah ihre Freundin beschämt an. „Entschuldige. Ich hab wohl heute meinen netten Tag“, sagte sie leise, wobei sie die Worte „meinen netten Tag“ in leicht ironischem Unterton hervorbrachte. Gina grinste: „Das kenne ich - besonders dann, wenn ich meine typische Frauenkrankheit habe.“ Shandi sah Gina fragend an: „Deine was?“ „Meine typische Frauenkrankheit“, wiederholte Gina. Als Shandi noch immer nicht zu verstehen schien, sagte Gina: „Du weißt schon, das, was jeden Monat immer wieder kommt.“ Shandi’s Gesicht klärte sich auf. „Jetzt verstehe ich. Sag doch gleich, dass Du Deine Tage meinst.“ Gina errötete. „So direkt wollte ich jetzt gar nicht werden“, murmelte sie. Shandi grinste nur, während sie kopfschüttelnd vor sich hinflüsterte: „Typische Frauenkrankheit. Die kommt auf Ideen.“
Schließlich sagte Gina: „Weshalb ich aber eigentlich hier bin, was hältst Du davon, wenn Petra, Du und ich eine kleine Tour machen; so eine Art Fahrt ins Grüne? Ich meine, das wäre doch die Gelegenheit, sich besser kennen zu lernen.“ „Meinetwegen“, antwortete Shandi. „Aber diese doofe Tussi bleibt hier.“ Etwas irritiert sah Gina Shandi an. „Welche doofe Tussi denn“, fragte sie. „Na, diese Victoria“, erwiderte Shandi. Gina sah ihre Freundin mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Quatsch“, protestierte sie. „Die wollte ich ja nicht mal in der Band haben, also warum sollten wir sie mitnehmen?!“ Shandi war beruhigt.
Nachdem dieser Punkt geklärt war, berieten die beiden Freundinnen, wann und wohin die Tour gehen sollte. Gina schlug vor, dass sie sich einfach treiben lassen wollten und irgendwo in einer Herberge Rast machen könnten. Shandi war einverstanden. Als Gina allen Ernstes meinte, vielleicht würden sie ja da ihr viertes Mitglied finden, brach Shandi in schallendes Gelächter aus. Nur mühsam brachte sie den Satz hervor: „Ja, sicher. Es laufen ja auch so viele Mädchen herum, die Paul Stanley ein bisschen ähneln und außerdem noch sowohl singen als auch Gitarre spielen können.“ Dann lachte sie wieder. Gina allerdings fand das gar nicht komisch. Sie war fest davon überzeugt, dass es irgendwo ein Mädchen gab, dass genau diese Eigenschaften besaß und vielleicht nur darauf wartete, von ihnen gefunden zu werden.
Shandi hatte sich bald wieder gefangen und fragte Gina, wie sie sich denn ansonsten die Tour vorstellen würde. „Nun ja“, entgegnete Gina. „Ich dachte, wir machen eine Fahrradtour. Es gibt auch auf dem Weg eine kleine Jugendherberge, wo wir einkehren könnten.“ Shandi hörte sich Ginas Pläne an und war einverstanden. Jetzt hieß es nur noch, Petra von dieser Fahrradtour zu überzeugen.
Das war allerdings gar nicht so schwer. Nachdem Shandi Petra angerufen und ihr von der Tour erzählt hatte, willigte Petra ohne weiteres ein. Die Mädchen einigten sich auf das kommende Wochenende.
Endlich war das Wochenende da und die Vorbereitungen der Mädchen liefen auf Hochtouren: Taschen packen, Fahrräder flott machen, Wegzehrung vorbereiten. Dann ging es los. Gina, Shandi und Petra hatten jede Menge Spaß. Schließlich, gegen Abend, kamen sie zu der Jugendherberge, wo sie einkehren wollten. Die Herbergsmutter war sehr freundlich und zeigte den Mädchen ihre Zimmer. Shandi sah sich um und sagte: „Gemütlich haben die es hier.“ Die Herbergsmutter sagte noch: „Wenn Ihr mögt, kann ich Euch auch gerne noch etwas zu Essen machen. Und heute Abend findet auch noch eine kleine Veranstaltung statt. Wird bestimmt schön. Meine Tochter tritt nämlich auf.“ Gina wurde neugierig: „Ist Ihre Tochter denn Musikerin? Wir haben nämlich auch eine Band und sind noch auf der Suche nach einem vierten Mitglied.“ Die Herbergsmutter lächelte: „Ja, meine Tochter ist auch Musikerin. Sie singt und spielt Gitarre.“ Jetzt war Gina erst recht neugierig. Sie sah ihre Freundinnen an und meinte: „Wir sollten uns das Mädchen mal ansehen. Was meint Ihr?“ Shandi und Petra hatte nichts dagegen einzuwenden.
Erst gingen die Mädchen aber zum Essen. Auf einmal wurde es etwas dunkler im Raum. Auf der kleinen Bühne wurde es dafür etwas heller und dann stand sie da: Pauline, die Tochter des Hauses. Hatte Shandi Gina noch vor ein paar Tagen ausgelacht, weil sie nicht daran glaubte, dass es tatsächlich ein Mädchen geben würde, dass Paul Stanley ähnelte und noch dazu singen und Gitarre spielen konnte, so verschluckte sie sich nun fast, als sie Pauline sah. Denn die erfüllte genau diese Kriterien.
Nach dem Auftritt gingen Gina, Shandi und Petra auf Pauline zu und stellten sich ihr vor. Sie erzählten ihr von ihrer Band „A Girl’s KISS“. Pauline war beeindruckt. Dann fragte Gina: „Sag mal, hättest Du nicht Lust, bei uns mitzumachen?“ Pauline überlegte kurz. Dann antwortete sie: „Lust hätte ich schon, aber ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter das erlauben würde. Ihr müsst wissen, wir haben noch nicht allzu lange so ein gutes Verhältnis.“ Die drei Mädchen waren erstaunt, dass Pauline ihnen so etwas erzählte, doch die fuhr fort: „Es ist so: Ich lebe jetzt mit meiner Mutter alleine hier. Das war aber nicht immer so. Bis vor kurzem war meine Mutter mit einem Mann verheiratet, mit dem ich aber nicht klar kam. Er war mir gegenüber oft gewalttätig. Aber meine Mutter hat mir das nicht geglaubt. Erst, als ich freiwillig für einige Zeit in ein Heim gegangen bin, wurde sie stutzig. Dann hat sie irgendwie die Wahrheit erfahren und hat den Kerl vor die Tür gesetzt. Nun lebe ich hier mit ihr.“
Shandi, Gina und Petra hatten Pauline aufmerksam zugehört. Sie waren fassungslos, dass jemand so gemein sein konnte. Und sie waren froh, dass sich die Situation für Pauline gebessert hatte. Die sagte: „Bei den ganzen Umständen ist es ganz klar, dass meine Mutter jetzt erst recht auf mich aufpasst.“ Die Mädchen nickten. Dann wollte Pauline wissen, welche Musik „A Girl’s KISS“ denn machte. Shandi antwortete: „Na, die Lieder von KISS natürlich. Du musst wissen, wir drei sind absolute KISS Fans.“ Pauline lächelte. „Ich bin auch großer KISS Fan“, sagte sie. „Na, das passt doch“, entgegnete Petra.
Die vier Mädchen gingen zu Paulines Mutter, um sie zu fragen, ob Pauline in der Band mitspielen dürfte. Doch die war nicht so begeistert davon. „Eigentlich finde ich das nicht so gut. Ich weiß zwar, wie gerne Du bei so was mitmachen würdest, Pauline, aber Du weißt auch, dass ich nichts von diesem Musikerleben halte. Solange Du das hier als Hobby machst, ist es okay. Doch außerhalb? Und mehr oder weniger professionell? Nein, tut mir leid.“
Gina verstand zwar die Bedenken von Paulines Mutter, aber trotzdem sagte sie: „Bitte, erlauben Sie es doch. Wir würden auch auf Pauline aufpassen. Und wir tun ja nichts, was eine von uns in Gefahr bringen würde. Es ist ja auch für quasi ‚just for fun’. Bitte sagen Sie ja. Sie , bzw. Pauline haben doch nichts zu verlieren.“
Bei diesen Worten platzte Shandi in lautes Gelächter aus, was ihr nur irritierte Blicke einbrachte. Als Erklärung stimmte sie „Nothin’ to lose“ an. Die anderen stiegen sofort ein – auch Pauline. Ihre Mutter schüttelte lächelnd den Kopf, als sie das hörte. „Also, gut“, sagte sie schließlich. „Meinetwegen. Gegen Euch komme ich ja doch nicht an. Und Ihr seid gar nicht so schlecht.“ Die vier Mädchen jubelten laut. „Unter einer Bedingung“, fuhr Paulines Mutter fort. Shandi, Gina, Petra und auch Pauline sahen sie erwartungsvoll an. Und sie sagte: „Euer erstes gemeinsames Konzert findet morgen Abend hier statt. Schließlich will ich ja auch wissen, wie Ihr Euch zusammen so macht.“ Damit waren alle einverstanden.
Dann verabschiedeten sich Shandi, Gina und Petra von Pauline und ihrer Mutter und gingen in ihre Zimmer. Jede für sich dachte noch: „Cool! Unser erster Auftritt als komplette Band. Das wird bestimmt toll.“ Dann schliefen sie so nach und nach ein.




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